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Benedikt bewegt

Hans Mosser – Unterwegs am Benediktweg Teil 1

Teil 1 von Spital am Pyhrn bis St. Paul

Von einer äußerlichen Perspektive aus waren es 5 kg (ungeplante) Gewichtsabnahme auf 20 Etappen auf 474 km bei knapp 12.000 Höhenmetern, mit einem schweren Rucksack und 20 Übernachtungen in Klöstern, Gasthöfen, Bauernhöfen, einer Berghütte und kleinen Hotels. Oft angenehmes Wanderwetter, aber auch starke Hitzetage und heftige Gewitter. Und immer allein unterwegs. Aber auf all das kam es bei dieser Pilgerwanderung nicht an. Worauf dann? Es ging mir vielmehr um eine spirituelle Wanderung, wobei unter der modernen Wortblase „Spiritualität“ heute schon alles verstehbar ist, von Esoterik über Wellness bis hin zu Religiosität und dem alten Begriff Frömmigkeit. Ich will daher konkret werden.

Schon im letzten Jahr bin ich allein auf dem Cammino di San Benedetto den Spuren des Hl. Benedikt von seinem Geburtsort Norcia bis zu dem von ihm gegründeten Kloster Montecassino gefolgt. Anlass meiner ersten Pilgerwanderung war meine Pensionierung, das Loslassen eines Berufes, den ich geliebt und der mich sehr erfüllt hatte. Und so wie der Hl. Benedikt mit der Klostergründung von Montecassino im Jahr 529 einen Zeitenübergang symbolisiert, nämlich von der Antike zum Mittelalter (weil im selben Jahr die platonische Akademie in Athen ihre Pforten schloss), so vertraute ich mich in meiner Übergangszeit vom Beruf zur Pension seiner Führung an, um herauszufinden, welchen Weg ich nun weitergehen soll. Was mir auf dem Cammino di San Benedetto tatsächlich konkret bewusst geworden ist, hatte ich schon anlässlich meiner Pensionierung an alle meine Mitarbeiter gemailt: „Für mich ist nun altersbedingt die Zeit des – zumindest beruflichen – Loslassens gekommen und ich werde mit Ende dieses Jahres in Pension gehen. Ich sehe diesen Prozess, den das Älterwerden darstellt, aber nicht als einen Abstieg in ein dunkles Tal, sondern vielmehr als den Aufstieg zu den letzten Gipfeln, vor dem man überflüssiges Gepäck ablegen sollte (vgl. Ida Görres, Zwischen den Zeiten, 1960).“

Überflüssiges Gepäck ablegen

Überflüssiges Gepäck abzulegen, dies war nun auch das Ziel meiner diesjährigen Pilgerwanderung auf dem Benediktweg. Dass es auch im wörtlichen Sinn im slownischen Kamnik dazugekommen ist, darüber später mehr. Die Frage war, was ist nun für mein (vielleicht) letztes Lebensdrittel wirklich wichtig und welches Ziel hat Gott für mich noch bereit? Dies zu erkennen treibt mich schon seit dem Beginn der Pension in 2021 um. Und mit der Offenheit und Bereitschaft, die Stimme Gottes auf dem Benediktweg, vor allem allein unterwegs, besser zu hören als in meinem trotz Pensionierung noch immer umtriebigen Alltag, war der tiefste Grund meiner Pilgerwanderung auf dem Benediktweg im Mai 2022. Zudem gab mir auch die Bibel Zuspruch, wie bspw. der Psalm 84,6: „Selig die Menschen, die Kraft finden in dir [in Gott], die Pilgerwege im Herzen haben“.

Anhand des Pilgerführers des Vereins Benedikt be-wegt, über den ich auch auf die Idee dieser Wanderung gekommen bin, sowie einer Outdoor App und Google maps plante ich alle Etappen von Spital am Pyhrn bis Aquileia und reservierte an den jeweiligen Zielen die Unterkunft. Und weil der Großteil des Pilgerwegs durch Slowenien führt, begann ich auch ein bisschen Slowenisch zu lernen, wenigstens um grüßen und die eine oder andere Frage stellen zu können. Und als es darum ging, den Rucksack zu packen, kam ich zunächst auf ein Gewicht von 18 kg, was eindeutig zuviel war. Nun hieß es also „überflüssiges Gepäck“ herauszunehmen. So kam ich dann (inklusive 2 l Wasser) auf 15 kg. Mehr konnte ich nun nicht mehr ausladen – dachte ich zumindest.

Am 12. Mai 2022 fahre ich schon zeitig in der Früh mit dem Zug von St. Pölten über Linz nach Spital am Pyhrn, wo ich nach dem Besuch der Kirche bei einem gegenüberliegenden Café nach einem Espresso und Kipferl sofort meine erste Etappe (Benediktweg N 07) beginne, mit dem Ziel der Benediktinerabtei Admont. Ich steige durch die beeindruckende Vogelsangklamm, wandere vorbei an der Bosruck- und Rohrauerhütte, wo ich bei einem Apfelsaft kurz mit Mountainbikern plaudere, und komme nach 5 Stunden und 22 km im Stift Admont an, wo ich übernachte.

Abends kann ich die Laudes und Komplet mitfeiern, und dann sammle ich meine Gedanken in dem Meditationsraum im Gästetrakt, wo ständig die Eucharistie ausgesetzt ist. Ich bete dort das Adoro te devote von Thomas von Aquin, mein Lieblingsgebet. Es gibt keines, das angesichts der Eucharistie besser passt. Zeilen wie „Gottheit, tief verborgen, betend nah ich dir, unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier“, und vor allem „Kann ich nicht wie Thomas schaun die Wunden rot, bet ich dennoch gläubig, ‚du mein Herr und Gott‘ “, berühren mich sehr.

 

Die zweite Etappe führt mich von Admont über den Kaiserau-Pass ins Triebental zum Bauernhof Braun (Benediktweg N 06). Eine eher gemütliche Etappe von ca. 22 km und 941 Höhenmetern, anfangs entlang wilder Bäche und teilweise im Wald. Meine Unterkunft für heute ist der Bauernhof Braun, wo man auch Urlaub am Bauernhof machen kann. Während ich schlafe, wird um 2 Uhr nachts ein Kalb geboren und um 5 Uhr früh werden zwei Schweine geschlachtet. Eine Hofschlachtung ohne Stress. Während das Schwein frisst, wird es mit einem Bolzen getötet. Kein grausamer Tiertransport. Die beiden jungen Bauern sind sehr engagiert und sympathisch.

Ein guter Rat sollte gehört werden

Die dritte Etappe geht vom Triebental über das Kettentörl nach Seckau (Benediktweg N 05), wo ich im Stift übernachten werde. Der Aufstieg aufs Kettentörl ist durch Schneefelder teilweise anstrengend, aber problemlos. Der Abstieg hat es dann aber auf sich. Es gibt noch relativ viel Schnee, der offensichtlich die Markierungen verdeckt. So verirre ich mich mehrmals auf großen steil abschüssigen Schneerinnen, die ich teilweise wieder hinauf stapfen muss, weil sie in einem wilden Gebirgsbach enden und beidseits der Schneerinne der extrem dichte Latschenwald undurchdringlich ist. Hätte ich doch nur auf den Rat von Maria von Benedikt be-wegt gehört, die meinte, Mitte Mai wäre es aufgrund der Schneelage noch besser, das Kettentörl zu vermeiden und stattdessen das Sommertörl zu gehen.

Dann geht es endlich mit nur mehr wenig Schnee, dafür aber sehr breiten Wasserläufen entlang des Weges talwärts bis zum schönen Ingeringsee. Nach mittlerweile 21 km nimmt mich zwischen Ingeringsee und Ingering II ein barmherziger Samariter aus Knittelfeld in seinem Auto ein Stück mit. Ich bin froh, denn ich habe von meinen Bergschuhen bereits ordentlich Blasen an den Füßen. Dann sind es nur mehr rund 8 weitere Kilometer von Vorwitz (der Ort heißt wirklich so) bis ins Stift Seckau, wo ich übernachte. Weil ich zwischen Vesper und Komplet zuwenig Zeit habe, um ein Gasthaus aufzusuchen, besteht mein Abendessen heute aus meinem Notproviant: Erdnüsse und getrocknete Marillen. Schmeckt sehr gut, wenn man hungrig ist.

Ins schöne Lavanttal

Meine 4. Etappe (Benediktweg N 04) wandere ich vom Stift Seckau über den Tremmelberg hinüber ins Murtal und nach Weißkirchen, wo ich in einem Gasthaus übernachte.

Am nächsten Tag geht es weiter auf dem Benediktweg N 03, zunächst zur Wallfahrtskirche Maria Buch, die älteste Wallfahrtskirche der Steiermark, wo ich kurz Einkehr halte. Dann eine wunderschöne Strecke über einen Berg, wo ich mich aber mehrmals kurz im Wald verirre. Ca. bei km 17 beginnt es arg zu gewittern. Ich werde waschelnass, kalt wird es auch. Knapp vor Obdach erwische ich einen Bus, mit dem ich dann zu meinem heutigen Etappenziel Reichenfels fahre. Ich habe mich eigentlich gefreut, am Obdacher Sattel zu Fuß die Grenze von der Steiermark in meine Heimat Kärnten, wo ich geboren bin, zu überschreiten. Doch daraus wird nun nichts. Es ist wegen des anhaltend starken Regens ein Bus, der mich ins schöne Lavanttal bringt. Es geht halt nicht immer  nach dem eigenen Kopf.

 

Heute geht es von Reichenfels über Gräbern nach Wolfsberg (Benediktweg N 02). In der Früh ist das Gras nach dem nächtlichen Regen noch nass, langsam lichten sich die Morgennebel. Ich durchquere eine Kuhweide – die Kühe entspannt, ich auch. Dabei auch eine kurze sehr ‚gatschige‘ Strecke, der ich nicht ausweichen kann. Naja, die Kühe sind eben schwer …

 

 

Später auf meinem Weg begegne ich einem kleinen Hund, der mich – wichtigtuend – kurz verfolgt, dann vorbei an der Preblauerquelle, die schon Paracelsus besichtigt hat. Dort finde ich leider keinen Brunnen, um meine Wasserflaschen aufzufüllen. Vorbei an der Wallfahrtskirche Gräbern, eine kurze Jause bei der Heimkehrerkapelle mit Blick auf das 8 km entfernte heutige Ziel Wolfsberg. Bin schnell unterwegs heute, knapp 6 Stunden für 27,5 km. Ich muss lernen, langsamer zu gehen. Ich habe ja den ganzen Tag Zeit.

Die Lavant spricht mit mir

Am nächsten Tag in der Früh juckt es mich an der Hinterseite des Oberschenkels. Ich habe einen kleinen Spiegel mit (also nützlich auf einer Pilgerwanderung mitzuführen) und erkenne einen winzigen Zeck, den ich mit meiner Pinzette (also auch das ein wichtiges Pilgerutensil) entferne. Sicherheitshalber besorge ich mir in einer Apotheke in Wolfsberg noch ein Antibiotikum (Augmentin), das ich aber nur nehmen werde, wenn sich ein sog. Erythema migrans als Zeichen einer Infektion mit Borrelien zeigen sollte. Dann noch zur Post, wo ich meine Bergschuhe nach Hause schicke, weil sie zu blasenträchtig sind. Das Kettentörl, die einzige Passage, wo man sie wirklich braucht, liegt ja schon hinter mir. Jetzt noch zu einem Sportgeschäft, wo ich mir Laufschuhe mit guter Dämpfung für Asphalt und Trailschuhe mit wenig Dämpfung aber mehr Stabilität für eher bergige Passagen kaufe. Und in der Drogerie Blasenpflaster für ein paar Stellen am rechten Fuß … Da die heutige Strecke nach St. Paul (Benediktweg N 01) relativ kurz ist, besuche ich in Wolfsberg noch die Sonderausstellung „Lager“ im Museum im Lavanthaus.  (@Bernhard: Danke für den Tipp!). Sie behandelt das Thema der Internierungslager nach 1945. Auch sonst hat das Museum viel zu bieten über die regionale Kultur, darunter den so genannten Wolfsberger Schreck, einen Wolf, der 1914 erlegt wurde. (Aber jetzt kommt er ja wieder zurück). Im Museum lese ich noch ein berührendes Zitat von Christine Lavant: „Mein Herz erträgt … die arge Zeit und trinkt in Abgeschiedenheit den bitteren Kelch der Ängste“. Es passt gerade auf den derzeitigen Krieg in der Ukraine.

Nun geht es los, durchs Lavanttal von Wolfsberg über St. Andrä gemütlich nach St. Paul (Benediktweg N 01), ca. 20 km ohne Höhenmeter. Immer entlang der Lavant, die mich die ganze Strecke lang begleitet und zu mir spricht, mal plätschernd, mal tosend, mal gurgelnd und mal schweigend – letzteres, damit auch die Grillen nicht umsonst musizieren …

Vorbei an St. Andrä mit den beiden imposanten Kirchen, zuerst die Wallfahrtskirche Loreto (mit den beiden zwiebeligen Türmen) und kurz danach die Pfarrkirche (2 spitze Türme), die einmal sogar Dom der Bischöfe der ehemaligen Diözese Lavant war. Durch ihr Mittagsgeläute lädt sie mich zu einer kurzen Rast und Besinnung ein. Dann am Mettersdorfer See vorbei, entlang eines Bienenlehrpfades und wunderschön blau blitzenden Kornblumen sowie Margeriten komme ich zum bunten Benediktkreuz am Ortsbeginn von St. Paul.

Im Stift Paul, wo ich heute übernachte, werde ich sehr herzlich empfangen. Ich darf mit den Mönchen in der Kapelle die Vesper und eine Messe feiern, danach geht es zum gemeinsamen Abendessen und am nächsten Tag feiern wird noch die Laudes und danach gibt es Frühstück. Die Herzlichkeit der Mönche beeindruckt mich, auch ihre Ernsthaftigkeit beim Abend- und Morgenlob. Ich empfinde es  als bisherigen spirituellen Höhepunkt meiner Wanderung. Von Pater Siegfried erhalte ich am nächsten Tag ein Pilgerkreuz (Benediktkreuz) und den Pilgersegen. Gestärkt und frohgemut ziehe ich mit Dankbarkeit im Herzen weiter.

 

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