Aus dem Pilgertagebuch eines Export-Lavanttalers
Christian Schwab -3 Tage durch das Lavanttal
Tag 1: Taxwirt – Gräbenerwirt
„Wohin gehen wir denn hin? – Immer nach Hause.“ Dieses Zitat des deutschen Philosophen und Schriftstellers Novalis hat nicht nur etwas sehr Tröstendes, sondern er trifft in den nächsten Tagen auch wörtlich auf unsere Pilgerwanderung zu. Es ist das letzte Septemberwochenende und ca. 20 Pilgerinnen und Pilger, darunter auch ich, machen uns auf dem Weg das Lavanttal zu durchqueren.
Eine Grenzerfahrung. Start ist Freitag früh um 9 Uhr beim Taxwirt. „Benedikt bewegt“ statt „Fit mit Philipp!“ Auf einer kleinen Brücke stehend, höre ich mit einem Bein in der Steiermark und dem anderen Fuß bereits in Kärnten, den Begrüßungsworten von unserem Organisator Ernst Leitner zu. Danach wird es auch mit dem Wandern ernst und wir machen uns auf den insgesamt gut 60 Kilometer langen Weg, bei dem bereits nach knapp 2 Kilometern in Reichenfels die ersten Kirchenglocken läuten. Ich will schon im Scherz sagen, die Kirchenglocken wurden extra für uns eingeschalten, merke aber schnell, dass sie wirklich für uns eingeschalten wurden. Der Pfarrer von Reichenfels gibt uns den Pilgersegen, der Bürgermeister von Reichenfels davor schon Geld. Allerdings mit der Bedingung, dass wir es in seiner Heimatgemeinde ausgeben müssen. So gibt’s bereits nach einer kurzen Wanderzeit die erste Einkehr beim Hirschenwirt, was mich besonders freut, hat doch die Christina, die Wirtin, in der HAK die Parallelklasse von mir besucht. Stundenlang könnten wir darüber reden, aber es ist leider nur der Kaffee verlängert, und nicht die Pause. Weiter geht es Richtung Bad St. Leonhard. Und hier gibt es eine erste Lektion des so schönen Unterrichtsfachs: „Lerne deine Heimat kennen“. Ich war fix der Überzeugung wir werden begleitet von LKW und PKW-Lärm den Radweg (R10) weitermarschieren, aber ich habe mich zum Glück getäuscht. Unser Pilgerführer Christian führt uns über den mir bis dato unbekannten Quellenweg des Oberen Lavanttals bei herrlichem Herbstwetter nach Bad St. Leonhard. Am Schlossberg angekommen waren wir wohl noch nicht so kaputt oder besser gesagt caputto, dass keine Halluzinationen in Form von Marienerscheinungen aufgetreten sind. Wobei so ganz stimmt es nicht, eine Maria hat uns die ganze Zeit über begleitet. Maria Wright, die gute Seele von „Benedikt bewegt“. Nach dem Besuch der Kunigunde-Kirche ging es zum GH-Geiger, wo die Pilgersuppe auf alle wartete. Auf alle, nur nicht auf mich. Denn ich brauchte nach dem Draht nach oben, jetzt im Gasthaus ein W-LAN, um die Mittagspause für eine Zoom-Konferenz in meiner Funktion als Autor einer TV Satire-Sendung zu nutzen. Für die anderen hieß es Mahlzeit Bad St. Leonhard, für mich Gute Nacht Österreich. Als alles besprochen war, war nicht nur die Pilgersuppe leer, sondern auch die Wandergruppe weg. Danke meines Navis, in Form unseres Pilgerführers, habe ich aber aus Bad St. Leonhard rausgefunden und die Gruppe bald wieder eingeholt. Ein Christian lässt den anderen halt nicht im Stich. Nächster Halt war Preblau-Sauerbrunn. Dort wurde ich schon wieder an meine Schulzeit erinnert. Denn niemand geringerer als Mag. Anton Schönhart, mein ehemaliger HAK-Religionslehrer hielt als ortsansässiger Diakon eine Andacht für uns, und seine Frau erklärte uns, warum Preblau-Sauerbrunn Preblau-Sauerbrunn heißt, eben weil dort einmal vor langer Zeit die Einheimischen ihren Wein aus dem Brunnen nicht mit einem fremden kleinen Männchen teilen wollten. Der hat dann den umgekehrten Jesus gemacht und den Wein in Wasser verwandelt. Den Nachfahren war das scheinbar eine Lehre, den uns wurde zum Abschluss ein Glas Wein gereicht und so ging es gestärkt weiter zum Etappenziel des heutigen Tages. Wie hätte es mein Alter ego Sepp Schnorcher mit einer Bauernregel formuliert: „Siehst du am Ende des Tages den Gräb’nerwirt, dann bist plötzlich net mehr miad“.
Tag 2: Gräbenerwirt – Stift. St. Paul
Im Gegensatz zum Bundesheer hat man beim Pilgern durch das Lavanttal bereits am ersten Tag Heimschläfererlaubnis. Nach dem Hotel Mama geht es in aller Herrgottsfrüh wieder zurück zum Gräbenerwirt, um den Benediktweg dort fortzusetzen, wo wir ihn gestern beendet haben. Und wie ich merke, gibt es auch viele Tagespilger, manche sind heute neu dabei, andere von gestern nicht mehr. Wir machen uns auf zur 2. Etappe, die uns von Prebl über Gräbern, wieder auf wunderschönen Feldwegen entlang führt bis wir einen perfekten Ausblick auf die menschliche Zivilisation haben. Vor uns im Tal liegt nicht Paris, und auch nicht London. Aber immerhin Frantschach-St. Gertraud. Pilgern heißt sich in Demut üben, wie man überhaupt beim Weitwandern immer wieder merkt, wie wenig man braucht und wie angenehm es ist, wenn der Rucksack, den man zu tragen hat, eher leichter als schwerer ist. Im Grunde sind wir in der großen Schöpfungsgeschichte nur kleine Hobbits, die sich nun auf dem Weg durch das Wolfsberger Auenland machen, mit dem Zwischenziel Haus St. Benedikt. Dort angekommen weiß man nicht, wer gerade mehr lacht die Sonne oder der Hausherr Pater Siegfried Stattmann. Freudig begrüßt er die Pilgerrunde in seiner wegen des Erntedankfestes so stimmungsvoll geschmückten Kirche. Bei der anschließenden Pilgersuppe reden wir – wie immer mit Pater Siegfried – über Gott und die Welt.
Er kommt gerade aus Georgien mit spannenden Erzählungen zurück. Pater Siegfried hat wesentlichen Anteil am Benediktweg und auch dass ich auf diesem unterwegs bin. „Durch seine Schuld“ ist es nämlich dazu gekommen. Bei meinem Buch „Oh mein Gott“, in dem ich alle fünf Weltreligionen in fünf Monaten im Selbstversuch getestet habe, hat Pater Siegried mich eingeladen am Mönchsleben im Stift St. Paul für ein paar Tage teilzunehmen. Dabei entstand auch die Idee, einmal ein paar Etappen mitzugehen. Nun sitzen wir hier im Haus St. Benedikt, und erinnern uns auch zurück an unseren Comedy Hirten-Auftritt, der vor fast genau 2 Monaten im Kapuzinergarten stattgefunden hat, und durch ein rasch aufziehendes Gewitter etwas früher als geplant geendet hat. Nur ein paar Wochen später ist ein gewaltiger Sturm leider nicht spurlos durch das Lavanttal gezogen. Der 18. August 2022 ist als schwarzer Tag in die Geschichte eingegangen. Je näher wir Richtung meines Heimatortes Mettersdorf, je näher wir Richtung St. Andräer See kommen, umso mehr spürt man auch eine Änderung der Stimmung in der Pilgergruppe. Manche reden über das schreckliche Unglück, manche machen sich wohl schweigend ihre Gedanken. Manchmal fällt der Glaube an einen Gott wirklich schwer. Langsam wird versucht wieder zu anderen Themen zurückzukehren. Ernst hilft uns dabei bei einer kurzen Pause mit Geschichten über und von Christine Lavant. Im Hintergrund dabei zu sehen mein Elternhaus, doch Novalis hat zumindest heute nicht recht, denn ich gehe weiter als nach Hause. Das Tagesziel heute ist das Stift St. Paul und irgendwie haben wir etwas die Zeit übersehen. Um die Vesper um 18 Uhr zu erreichen, bräuchte man jetzt schon fast eine Vespa. Daher legen Ernst und Mitpilger Erwin derart an Tempo zu, dass man glauben könnte, nach dem E-Bike, wurden auch bereits die E-Wanderschuhe erfunden. Es wird eine Punktlandung, wir schaffen es rechtzeitig ins Stift. 30km sind wir heute gepilgert, die Mönche singen Salve Regina, und manche brauchen eine Salbe Voltaren.
Tag 3: Benediktkreuz – Lavamünd.
Sonntag, der Wecker läutet, vorbei ist nicht nur die Nachtruhe, sondern auch das schöne Wetter. Es schüttet. Doch vor uns liegt noch eine Pilgeretappe. Wäre man nun am Jakobsweg knapp vor Santiago di Compostela würde man sagen, da kommen wir so schnell nicht mehr her, das ziehen wir durch. Aber ganz ehrlich, bei diesem Wetter von St. Paul nach Lavamünd zu gehen, eine Strecke, die man als Lavanttaler theoretisch für jeden Sonntagsspaziergang wählen kann, da muss man mental schon sehr gefestigt sein. Ein harter Kern ist übriggeblieben und trifft sich beim Benediktkreuz zwischen Zogglhof und dem Ortschild St. Paul im Lavanttal, um auch die dritte und letzte Etappe in Angriff zu nehmen. Das eine oder andere Gespräch ergibt sich unter den Pilgern, aber meistens hört man nur den Regentropfen zu, die auf die Kapuze tropfen. Wie schön war es doch gestern Abend noch im Gasthaus Poppmaier, wo wir den Tag so schön und lustig ausklingen haben lassen. Aber bei schönem Wetter kann schließlich jeder unterwegs sein. Und es ist komisch, obwohl die erste Etappe erst vorgestern war, kommt es einem vor als wäre das schon viel länger her. Die Eindrücke, wenn man zu Fuß unterwegs ist, sind doch sehr intensiv, man denkt viel nach, an das, was war, an das was kommt, und ist dennoch immer irgendwie im Hier und Jetzt. Wir stehen nun wie zu Beginn der Pilgerwanderung wieder auf einer Brücke. Und sehen von dieser wie die Lavant in die Drau mündet. Ernst findet dafür schöne sinnbildliche Worte. „Wir waren entlang des Verlaufs der Lavant unterwegs, die nun in etwas Größeres fließt. So wie wir hoffentlich am Ende in etwas Größerem aufgehen.“ Worte, die bei mir noch lange, nicht nur bei der anschließenden dritten und letzten Pilgersuppe beim Hüttenwirt nachwirken. Drei Tage am Benediktweg liegen hinter mir, ich habe nicht nur liebe Leute neu oder anders kennengelernt, sondern auch meine Heimat von einer anderen Seite. Pilgernd. „Wohin fährst du denn? – Jetzt nach Hause nach Wien“. Das war jetzt kein Zitat von Novalis, sondern die Verabschiedung zwischen den Mitwanderinnen und -wanderer und mir.